Vor allem dann, wenn Alleingeborene noch nicht wissen, dass sie einst im Mutterleib ihren Zwilling verloren haben, ist es für Betroffene tatsächlich schier unmöglich zu erkennen, welches die wahre „Ur-Sache“ einer derart negativen Selbstwahrnehmung ist.
Viele Ungeborene, die ihren Zwilling verloren haben, schämen sich dafür, ihrem sterbenden Geschwister nicht geholfen zu haben. Möglicherweise geben sie sich sogar selbst die Schuld an dessen Tod: «Ich habe ihm zu viel Nahrung weggenommen.» Oder: «Ich habe mich zu viel bewegt und meinen Zwilling zu Tode getreten.»
Ein Ungeborenes kann nicht wissen, dass seine Überzeugungen jeglicher Logik entbehren, denn es verfügt entweder noch über keinen oder nur äusserst rudimentär vernetzten Neocortex. Damit ist der Frontallappen des Gehirns gemeint, der erst ca. ab dem 25. Lebensjahr voll ausgeprägt ist und für die «Ratio und Vernunft» zuständig ist. Und genau diesen Frontallappen hätte das Ungeborene gebraucht, um wirklich logische Schlussfolgerungen ziehen zu können ….
Basierend auf solchen Scham- oder Schuldgefühlen kommt es schliesslich zu einer vernichtenden Selbstverurteilung: «Ich bin ein Versager!» Oder: «Ich bin ein schlechter Mensch!» Und solche früh entstandenen Glaubenssätze sind dafür verantwortlich, dass sich viele Alleingeborene so negativ sehen.
Daneben gibt es noch einen zweiten Erklärungsansatz für den Selbsthass, welcher sich letzten Endes hinter solchen negativen Selbsteinschätzungen verbirgt:
Schon ein Ungeborenes verfügt über eine grosse Lebenskraft (auch Kernenergie genannt), welche für den Fall einer existenziellen Bedrohung die nötige Überlebensenergie in Form von Flucht- oder Kampfreaktionen garantiert. Man spricht in diesem Zusammenhang von «gesunder Aggression» (vom lateinischen Verb aggredi = angreifen).
Da es einem Ungeborenen noch nicht möglich ist, die Kampf- oder Fluchtreaktionen erfolgreich zum Abschluss zu bringen, kommt es zu einer hohen Aktivierung des Sympathikus, also des aktivierenden Teils seines autonomen Nervensystems.
Das wiederum hat zur Folge, dass die nicht zum Einsatz gekommene Überlebensenergie sich in Wut verwandelt, bevor der Parasympathikus (der «bremsende» Teil des autonomen Nervensystems) zuerst für ein Erstarren und anschliessend für das Erschlaffen des kleinen Körpers und somit zu einer somatischen Dissoziation führt. Diese bewirkt, dass das Ungeborene seine mit Wut verbundenen körperlichen Empfindungen nicht länger wahrnimmt, was aber nicht heisst, dass diese nun einfach «weg» sind. (Heller & Lapierre, 2012/2013, S. 22).
Zuerst einmal ist festzuhalten, dass es sich bei Wut um nichts anderes handelt als um eine überlebenssichernde Reaktion angesichts einer existenziellen Bedrohung.
Prinzipiell kann Wut entweder einagiert oder ausagiert werden. Wenn sie ausagiert wird, dann richtet sie sich gegen andere Menschen. Wird sie einagiert, dann richtet sie sich gegen sich selbst. Letzteres erklärt, wieso einige Alleingeborene sich selbst «wie den letzten Dreck behandeln».
«Wenn Aggressionen und Wut abgespalten und einagiert werden, bedeutet das, dass wir sie in der Form von Selbsthass gegen uns selbst richten.» [….] «…. dass er [der Selbsthass] ein Versuch war, mit seinem frühen Trauma und seiner Wut zurechtzukommen.» (Heller & Lapierre, 2012/2013, S. 395).
WICHTIG: Falls Du in Erwägung ziehst, unter der Rubrik «Selbsttest» den dort angebotenen Test durchzuführen, dann ist es von Vorteil, wenn Du Dir die Rubrik «Symptome» erst nach dem Absolvieren desselben anschaust. Ansonsten könnte dies Deine Antworten beeinflussen, und das Testresultat würde dadurch weniger aussagekräftig.